FRIEDRICH PÖHL


Friedrich Pöhl:
Das Weltverständnis der Indianer Nordamerikas im Lichte der europäischen Philosophie
Buch aus der Reihe "Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft", Hg. Wolfgang Meid, Innsbruck 2004, ISBN 3-85124-211-4; Bestellung: sprachwissenschaft@uibk.ac.at

Einleitung

"The bullet is a kind of pioneer of civilization. Although its mission is often deadly, it is useful and necessary. Without the bullet, America would not be a great, free, united and powerful country".
William F. Cody (Buffalo Bill)


Abb. 1: Der tote Körper von Big Foot (Si Tanka). Wounded Knee Massaker im Dezember 1890, South Dakota

Und dann si tanka auch big foot: Der liegt im schnee ein alter mann und sieht ein kind das noch an seiner toten mutter säugt und sieht sein letztes volk wie es da aufeinander liegt und sieht das blut im schnee .. und breitet noch die arme aus und hebt den kopf und reißt die augen auf daß nichts von dem was er da sieht verloren geht und alles was da einmal war wenn seine augen brechen aus ihm strömt und mit dem wind hinaus und in ein herz vielleicht ein lied .. und schaut und stirbt und friert nicht mehr

Dann fällt noch schnee und legt sich wie ein totentuch

Josef Oberhollenzer

Abb.2: Grabmal von Wounded Knee, Pine Ridge 1999.
Erst am vierten Tage nach dem Massaker wurden die gefrorenen Leichen der über 200 Frauen,
Kinder und überwiegend alten Männer in einem Massengrab verscharrt.

Kapitel II
Das Denken der Andersheit (Leseprobe)

"Was ich mir wünsche, ist nicht, daß die Mayafrauen alle Europäer, denen sie begegnen, von Hunden zerreißen lassen (was natürlich eine absurde Annahme ist), sondern daß man sich daran erinnert, was eintreten kann, wenn es einem nicht gelingt, den anderen zu entdecken".
Tzvetan Todorov *

Ausgehend von der gereiften Überzeugung, dass Mythen weder metaphysische noch ontologische Verbindlichkeiten aussagen können, dass sie uns nichts über die Weltordnung oder den Ursprung und die Bestimmung des Menschen sagen, dass sie uns aber helfen, die Funktionsweise der Gesellschaften, denen sie entstammen, und mithin die Triebfedern derselben zu verstehen, ist es die tiefe Einsicht Lévi-Strauss', dass es uns die strukturale Mythenanalyse ermöglicht, bestimmte konstante und grundlegende "Operationsweisen" des menschlichen Denkens ausfindig zu machen. Das Denken operiert nach einem binären System von Oppositionen - die Logik der indianischen Mythen liegt primär in der gegensätzlichen Wahrnehmung sinnlicher Eigenschaften konkreter Objekte (kalt/heiß, männlich/weiblich, irdisch/himmlisch, roh/gekocht), die moderne wissenschaftliche Logik hingegen liegt in den formalen Gegensätzen abstrakter Einheiten (+ und -). Beide Logiken sind in diesem Sinne ein Versuch auf eine andere Art und Weise über dieselben Dinge zu sprechen. Hat es in Der nackte Mensch (Mythologica IV) noch den Anschein, als ob das menschliche Gehirn wie ein binärer Apparat funktioniere und die binäre und duale Struktur des menschlichen Denkens ein universales Faktum sei, verabschiedet sich Lévi-Strauss in seinem Spätwerk Die Luchsgeschichte von diesem universellen Anspruch. Er stellt fest, dass er "in der dualistischen Organisation kein universales Phänomen [sehe], das aus der binären Beschaffenheit des menschlichen Denkens resultierte", und fährt fort: "Ich konstatiere lediglich, daß Völker [d.h. die Indianer Süd und Nordamerikas - F.P.], ... sich dafür entschieden haben [sic], die Welt nach dem Leitbild eines in immerwährendem Ungleichgewicht schwankenden Dualismus zu erklären, dessen sukzessive Phasen sich ineinander verschachteln - ein Dualismus, der bald in der Mythologie, bald in der gesellschaftlichen Organisation, bald in beiden auf kohärente Weise Gestalt annimmt". (1) Die gewohnt eingehende Analyse von so genannten Zwillingsmythologien beider Amerikas lassen für Lévi-Strauss den Schluss zu, dass die indianischen Völker eine "geistige Disposition" gemeinsam haben, nach welcher ihre dualen Denksysteme eine "Leerstelle" bereit hielten, die es ermöglichte dem ganz Anderen, in diesem Falle also dem Nicht-Indianer bzw. dem Weißen, einen Platz in ihrem Denksystem frei zu halten. Wenn die indianischen Denksysteme ihre "Inspiration aus einer Öffnung zum Anderen hin" beziehen, dann lassen sich auch die von den Europäern verschiedenartigen Reaktionen der Azteken, der Maya, der Inka und vieler nordamerikanischer Nationen auf die Ankunft der Fremden auf dem amerikanischen Kontinent besser verstehen. (2) Der Referenzmythos, von welchem ausgehend Lévi-Strauss zum wiederholten Male die dichotome Denkstruktur des "primitiven" Weltverständnisses, die eine unaufhebbare Dualität zwischen einem "guten" und "bösen" Prinzip beinhaltet, aufweist und mithin zum ersten Male die Theorie der "Leerstelle" entwickelt, entstammt dem Volk der Tupinambá aus Brasilien und muss nun schematisch dargestellt werden:

In den Urzeiten lebte der Gott Monan unter den Menschen und vollbrachte nur Wohltaten. Da die Menschen sich aber nicht dankbar zeigten, ließ er sie alle mit Hilfe einer Feuerbrunst himmlischen Ursprungs töten. Er rettete nur einen Menschen, den er in den Himmel versetzte, und auf dessen Bitten erstickte Monan auch den Weltenbrand mit einem Wolkenbruch von Regen. Anschließend schuf er für den überlebenden Mann eine Frau, damit sich das Paar fortpflanzen konnte und eine zweite Rasse entstand .

Bereits bis hier können zwei Arten von Dualismen ausgemacht werden: Einerseits nämlich führt Monan die Trennung zwischen himmlischen Gottheiten und irdischen Geschöpfen ein - andererseits gibt es den Dualismus zwischen dem zerstörerischen himmlischen Feuer, das die erste Menschheit zugrunde gehen lässt, und dem wiedergutmachenden himmlischen Wasser, das im Mythos schließlich auch den Ursprung des Meeres und der Wasserläufe darstellt, da es vorher auf der Erde weder Regen noch Meer gab.

Die Entstehung der zweiten Rasse war zugleich die Entstehung des Demiurgen Maire Monan, des Herrn und Meisters aller Künste, insbesondere der Kunst der Verwandlung. Er gab allen Lebewesen ihr gegenwärtiges Aussehen, da es zuvor keine Gattungsunterschiede zwischen Menschen und Tieren gegeben hatte. Weil die Lebewesen gegen ihre Verwandlungen ankämpften und sich undankbar zeigten, entzog der Demiurg ihnen zur Strafe alle Kulturgüter und behielt sie für die Weißen vor. Seine wahren Kinder wurden also die den Indianern an Kultur überlegenen Weißen. Gegen den Demiurgen kämpfend verbrannten die Lebewesen ihn auf dem Scheiterhaufen, er stieg in den Himmel auf, wurde zum Gewitter und hinterließ Nachkommen auf der Erde. Einer von ihnen war Sumé, der Zwillinge hatte, von denen einer friedlich, der andere aber äußerst aggressiv war. Der Streit zwischen den beiden hatte eine Sintflut, die irdischen Ursprungs war, zur Folge. Alle Menschen und Tiere wurden getötet, die Zwillinge flüchteten sich mit ihren Frauen auf einen Berggipfel und überlebten .

Auch in diesem Abschnitt können zwei Dualismen ausgemacht werden: Einerseits jener zwischen den Indianern und den Weißen, andererseits jener zwischen dem zerstörerischen irdischen Feuer (Scheiterhaufen) und dem zerstörerischen irdischen Wasser (Sintflut).

Von einem der beiden Zwillinge und seiner Frau stammen nun die Tupinambá und vom anderen Paar ihre Erbfeinde, der Stamm der Timiminó, ab. Im Dorf der Tupinambá lebte ein Vertrauter des Großen Monan, ein gewisser Maire Pochy, der einen Sklavenrang innehatte und hässlich war, aber über magische Kräfte verfügte. Eines Tages brachte dieser einen Fisch nach Hause und die Tochter des Herrn kostete davon, wurde schwanger und gebar einen schönen Jungen. Um herauszufinden, wer der Vater dieses Jungen war, versammelte man alle Männer des Dorfes und wollte sehen, wessen Bogen und Pfeile der Junge nehmen würde. Er nahm jenen von Maire Pochy und damit war dieser als der Vater des Jungen ausgemacht. In der Folge ließen alle Dorfbewohner Maire Pochy, seine Frau und das Kind im Stich. Der Ort aber, an dem sie weilten, brachte Überfluß an allen Dingen hervor, der Ort hingegen, an dem alle anderen wohnten, war unfruchtbar in dem Maße, dass die Menschen aus Hunger starben. Von Mitleid ergriffen, ließ Maire Pochy sie mit Lebensmitteln versorgen und lud alle ein, ihn zu besuchen. Die fruchtbaren Böden ihres Gastgebers aber veranlasste sie zu solcher Begehrlichkeit, dass sie alles plünderten. Maire Pochy verwandelte sie daraufhin sofort in verschiedene Tiere. Nach diesem Vorfall wandten sich alle Verwandten sowie die Frau von Maire Pochy ab - dieser streifte seine hässliche Gestalt ab, wurde zum schönsten aller Menschen und begab sich in den Himmel. Sein Sohn Maire, ein großer Magier, machte sich, nachdem er unter den Menschen viele Wundertaten vollbracht hatte, auf die Suche nach seinem Vater, fand diesen und wurde zur Sonne. Auf Erden aber hinterließ er einen Sohn, nämlich Maire Ata, der eine Einheimische heiratete. Obwohl die Frau von Maire Ata bereits schwanger war, ging sie auf Reisen und verirrte sich. Sie stieß auf Beutelratte, die sie zu sich einlud und, ihren Schlaf ausnutzend, sie mit einem weiteren Sohn schwängerte. Die Frau verließ Beutelratte, verirrte sich wiederum zu fremden Indianern, von denen sie getötet wurde. Bevor sie die fremden Indianer verspeisten, warfen sie die beiden herausgeschnittenen Embryonen auf den Abfallhaufen. Eine Frau fand die Embryonen und zog sie auf. In der Folge rächten die Zwillinge ihre Mutter, indem sie die Mörder ertränkten, die zu den wilden Tieren von heute wurden. Nach dem Rachefeldzug machten sie sich auf die Suche nach ihrem Vater (Maire Ata), von welchem ihnen harte Prüfungen auferlegt wurden. In deren Verlauf erwies sich der Sohn von Beutelratte als verletzlich und schwach, sein eigener Sohn hingegen als unverletzlich und stark, der seinen Bruder immer dann, wenn dieser starb, zu neuem Leben erweckte. (3)

Gerade dieser letzte Abschnitt des Mythos ist von Strukturen durchsetzt, die, des Öfteren auch transformiert, nicht nur in Südamerika, sondern auch in nordamerikanischen Mythen immer wieder zum Vorschein kommen. Abgesehen davon zeigen sich auch hier verschiedene Dualismen: Der Dualismus zwischen den Tupinambá und ihren Erzfeinden, der Dualismus zwischen den "guten" Mitbürgern, die im Überfluss leben und den "bösen", die Hunger leiden, der Dualismus zwischen den beiden Zwillingen, von denen einer schwach, der andere stark ist - und schließlich zeigt sich ein Dualismus zwischen den beiden Zwillingspaaren, von denen das erste feindlich, das zweite einander freundlich gesinnt ist.

Die Interpretation des Mythos macht deutlich, dass das dichotome Denksystem die Möglichkeit eröffnet, dem ganz Anderen einen Raum in der eigenen Weltsicht zuzuweisen. Jedesmal nämlich, wenn der Schöpfer etwas schafft, schafft er zugleich sein Gegenstück - schon die Tatsache der Erschaffung der Indianer impliziert die Erschaffung des Nicht-Indianers bzw. des Weißen. Der Beginn der Existenz des Indianers ist zugleich der Beginn der Existenz von etwas Anderem, was die Indianer nicht sind. Die Dichotomie entfaltet sich weiterhin auf verschiedenen Ebenen, d.h. die Erschaffung der Tupinambá bedeutet auch die Erschaffung ihrer Feinde und die Trennung der Tupinambá in "Gute" und "Böse", Starke und Schwache. Daher scheint es in den amerikanisch-indianischen Denkoperationen eine "Leerstelle" zu geben, die den ankommenden Europäern in den Mythen alsbald zugewiesen wurde. Der indianische Dualismus bezieht nach Lévi-Strauss "seine Inspiration [...] aus einer Öffnung zum Anderen hin, die sich auf demonstrative Weise bei den ersten Kontakten mit den Weißen äußerte, obwohl diese Weißen von gänzlich anderen Neigungen angetrieben wurden". (4) Deshalb mag es nicht verwundern, dass die Tupinambá die Portugiesen bereits 50 Jahre nach ihrer Ankunft in Brasilien (der behandelte Mythos wurde von Thevet zwischen 1550 und 1555 aufgezeichnet) in ihr Denksystem integriert haben. Bemerkenswert ist auch, dass die Indianer der Gê-Sprachfamilie in Brasilien denselben Mythos erzählen, aber auf eine umgekehrte bzw. transformierte Weise - eine Tatsache, die nach Lévi-Strauss ihren Grund darin findet, dass "man eine kulturelle und sprachliche Grenze überschreitet". (5) Der Gê-Mythos behandelt ebenfalls den Ursprung der Trennung der beiden Rassen, im Wesentlichen aber unterscheidet er sich vom Tupinambá-Mythos dadurch, dass der Held des Gê-Mythos nicht die Schätze der Weißen den Indianern verweigert, sondern dass der Held die Schätze der Weißen den Indianern anbietet. Je nach den verschiedenen Fassungen des Mythos gelingt es dem Helden seine indianischen Mitbrüder davon zu überzeugen, sich der Kultur der Weißen anzupassen. (6) Mit Alfred Métraux stimmt Leví-Strauss in diesem Sinne überein, dass in vielen amerikanischen Stämmen nach der europäischen Eroberung ähnliche Mythen entstanden sind, wobei man die Ähnlichkeit zwischen diesen vielen Versionen nicht Anleihen zuschreiben kann, sondern dem dualistischen Denksystem, das Lücken bzw. "Leerstellen" offen lässt. Wenn die Schöpfung der Indianer (im Mythos der Tupinambá) zugleich die Möglichkeit birgt einen völlig unbekannten Menschen, also den Nicht-Indianer, zu schaffen, so hätten die "Leerstellen" die Funktion, "von außen kommende Beiträge" zu erwarten, "die sie [d.h. die Leerstellen - F.P.] schließen sollten und dank denen sich ihre Struktur verdichtet hätte". (7) Diese Erwartung könnte man unseres Erachtens auch in Zusammenhang mit den Prophezeiungen sehen, die die Azteken, die Maya und die Inka von der Ankunft unbekannter Menschen hatten: In den heiligen Büchern der Maya steht geschrieben, dass sie die "Gäste, die bärtig sind und aus dem Morgenland kommen" freundlich empfangen sollten. Der achte Inka in Peru erhielt die Prophezeiung, dass bärtige Männer sein Reich und seine Religion zerstören würden, eine Prophezeiung, die der elfte und letzte Inka (Huayna Capac) erneuerte: Der letzte Inka ließ am Tage nach der Vision eine Statue errichten, die zeigte, was ihm erschienen war: "Ein großer Mann mit einem fußlangen Bart und einer Art Priestergewand, das bis zum Boden reichte. Am Ende einer Kette führte er ein überaus merkwürdiges Tier von unbekannter Gestalt und mit Löwentatzen"; die indianischen Künstler, so wird berichtet, konnten sich unter diesem Wesen nichts vorstellen, die Spanier hingegen, treu dem Prinzip des déjà-su folgend, erkannten in der Gestalt den heiligen Bartholomäus wieder ( so wie sie im Sumé der Tupinambá und im Quetzalcoatl der Azteken den heiligen Thomas wiedererkannten), was sie aber auf der Suche nach großen Schätzen keineswegs daran hinderte, den Tempel, der die Statue barg, zu zerstören. (8) Den Inkas gleich haben auch die Azteken den spanischen Eroberern keinen gefährlichen militärischen Widerstand entgegengebracht, weil Quetzalcoatl den Azteken verkündete, dass eines Tages ihm ähnliche Wesen aus Osten kommen würden - die Azteken ihrerseits, so die Chroniken, stellten sich Quetzalcoatl als einen hellhäutigen und langbärtigen Mann vor.(9)

Auf dem nordamerikanischen Kontinent ist es das Volk der Hopi, das in den mythischen Erzählungen der Wanderung der Clane eine "Leerstelle" für "Pahána", den verlorenen weißen Bruder, offen lässt. Másau, der Herrscher der vierten Welt in der Hopi Mythologie, gab dem Feuerclan für die Wanderung nach der Suche der endgültigen Heimat eine heilige Tafel mit und erklärte die eingeritzten Symbole: "Wenn der Feuerklan in seine endgültige Heimat gewandert ist, wird die Zeit kommen, da ihn ein fremdes Volk überwältigt. Die Mitglieder des Klans werden gezwungen sein, ihr Land und Leben nach dem Willen des neuen Herrschers einzurichten, oder man wird sie wie Verbrecher behandeln und bestrafen. Sie sollen aber keinen Widerstand leisten, sondern auf die Person [ also auf Pahána - F.P.] warten, die sie befreit". (10) Der erste Weiße begegnete den Hopi in Gestalt des Spaniers Pedro de Tovar und die Überlieferung der Hopi erzählt, dass er von allen Führern des Clans freundlich begrüßt worden sei: "Hier waren vier Striche aus geweihtem Maismehl gezogen (11); der Führer des Bärenklans trat an die Grenze und streckte seine Hand mit der Innenfläche nach oben dem Führer der weißen Männer entgegen. Wenn er wirklich der echte Pahána wäre, das wußten die Hopi, dann würde auch er seine Hand ausstrecken, mit der Innenseite nach unten und so die Hand des Bärenklanführers ergreifen, um das nakwach, das alte Symbol der Brüderschaft, zu bilden. Tovar befahl statt dessen barsch einem seiner Männer, dem Bärenklanführer ein Geschenk in die Hand zu drücken, da er annahm, daß der Indianer dies erwartete. Sofort wußten alle Hopiführer, daß Pahána die alte Vereinbarung, die zwischen ihren Völkern zur Zeit der Trennung getroffen worden war, vergessen hatte". (12) Nach den Spaniern kamen die Navaho, von denen die Hopis alsbald wussten, dass sie nicht Pahána waren, und schließlich kamen die Amerikaner, die ebensowenig als der wahre Pahána erkannt wurden - die Hopis warten heute noch auf den verlorenen weißen Bruder.

Obwohl die mythologische Überlieferung der Sioux keine den Tupinambá oder den Hopi ähnlichen Mythen bereithält, zeugt die Zuordnung der vier heiligen Farben (Rot, Schwarz, Gelb, Weiß) zu den vier Windrichtungen und zu den vier Menschenrassen den Einbezug des Anderen bzw. des Nicht-Indianers in ihr Denk- und Zeremonialsystem. Überdies wird Fools Crow zufolge beim Errichten des Sonnentanzbaumes Wasna (d.i. eine Mischung aus Fleisch und Beeren) als Gabe unter den Baum gegeben und zwar zu Ehren aller verstorbenen "Menschen aller Nationalitäten": "Es ist ein Bittgebet an Gott, daß er über sie wachen und die Toten und ihre Witwen und Kinder speisen möge". (13)

Die "Leerstelle" (14) im Denksystem der amerikanischen Indianer gründet auf ihrer "zweigeteilten Ideologie", die die Möglichkeit einer Andersheit und einer dualen Beziehung bereit hält. Dieses dichotome Prinzip zeigt sich nach Lévi-Strauss nun insbesondere in den auf dem ganzen amerikanischen Kontinent verbreiteten Zwillingsmythologien. Die Mythen "ordnen die Wesen und Dinge anhand einer Serie von Zweiteilungen", d.h. " idealiter auf jeder Stufe Zwillinge, erweisen sich die Teilbereiche doch stets als ungleich": Die Zwillinge sind also keine wirklichen Zwillinge und wenn die Mythen von wirklichen Zwillingen sprechen, dann "beeilen sie sich, sie wieder zu vereinzeln, indem sie ihnen entgegengesetzte Gaben und Charaktere zuweisen; der eine aggressiv, der andere friedlich; der eine stark, der andere schwach; der eine intelligent und geschickt, der andere dumm, linkisch oder leichtsinnig ..." (15). Die Mythen geben in diesem Sinne Auskunft über die "Organisation der Welt und der Gesellschaft" im indianischen Weltverständnis; das Welt- und Gesellschaftssystem basiert auf einem "dynamischen Ungleichgewicht", das niemals in einen "Zustand der Trägheit" verfallen darf. (16)

Ebenso geben die Mythen Auskunft über den wirklichen Umgang mit Zwillingsgeburten verschiedener indianischer Nationen; so fürchteten viele Völker Südamerikas die Geburt von Zwillingen, die Tupí-Guaraní beispielsweise betrachteten Zwillingsgeburten als unheilvoll und töteten die Zwillinge gleich nach der Geburt, wobei sie zwei Arten von Zwillingen unterschieden, d.h. wirkliche Zwillinge (der Natur nach) waren bösartig und wurden getötet, Zwillinge, die von verschiedenen Vätern gezeugt worden sind, waren gutartig; die Völker des tropischen Regenwaldes töteten zumeist nur einen der Zwillinge, die Tlingit in Alaska töteten im Allgemeinen die Zwillinge, die Skagit in Washington setzten sie aus und ließen sie sterben. (17)

Jean Baudrillard erklärt sich "die Verdammung und den Fluch, die in allen Kulturen auf dem Zwillingstum lasten" mit der Feststellung, dass uns die Natur "in Form der Zwillinge" in bestimmter Weise eine "Art Vorwegnahme des Klonens" bietet, obwohl der Traum "jener ungeteilten Trennung" meist nur "symbolisch" bleibt: "Erst mit der >ontologischen< Zäsur des Bruchs mit dem Zwilling setzt das individuelle Wesen ein und folglich die Möglichkeit einer Andersheit ...". (18)

Obwohl die Zwillinge in der indianischen Mythologie ein bevorzugtes Thema bilden, ist die Bedeutung, die ihnen die Mythen zusprechen, eben jene, dass sie keine wirklichen Zwillinge sind. Die Mythen behandeln daher die "unmögliche Zwillingshaftigkeit", auch jene zwischen Indianern und Weißen, und sie geben zu verstehen, "daß jede Einheit eine Dualität verbirgt und daß, wenn diese Dualität sich in der Wirklichkeit manifestiert, [...], es doch keine wirkliche Gleichheit zwischen den beiden Hälften geben kann". (19) Es muss aber zwischen zwei Formeln der Zwillingshaftigkeit unterschieden werden bzw. zwischen Zwillingen verschiedenen Geschlechts und gleichgeschlechtlichen Zwillingen. Zwillinge verschiedenen Geschlechts sind in den meisten Mythen dem Inzest geweiht und aus ihrer inzestuösen Bindung entsteht die erste Menschheit. Dieses mythische Schema antwortet auf die Frage: " Wie läßt sich, ausgehend von der Einheit, die Dualität hervorbringen (die der Geschlechter und die nachfolgende, die das Ehebündnis einschließt) ...". (20) Die Formel hingegen, die gleichgeschlechtliche Zwillinge hervorbringt, antwortet auf die entgegengesetzte Frage: "Kann die Dualität im annähernden Bild der Einheit resorbiert werden, [...], oder hat sie einen irreversiblen Charakter, und zwar in dem Maße, daß der minimale Abstand zwischen ihren Termen sich verhängnisvoll ausdehnen muß?". (21) Die Mythen entwerfen hier eine Reihe von unterschiedlichen Lösungen. Hat die Dualität etwa einen "irreversiblen Charakter", so nimmt sie eine antithetische Form an, wie dies exemplarisch der wohltätige und bösartige Zwilling im irokesischen Schöpfungsmythos zeigt. (22) Andererseits offenbart sich die antithetische Struktur, wie ein Mythos der Coeur d'Alêne darstellt, auf eine einzigartige und bemerkenswerte Weise: Eine Frau überrascht die Zwillinge dabei, als sie insgeheim über Leben und Tod diskutieren. Der eine ist der Überzeugung, dass Lebendig-Sein besser sei, der andere, dass Tot-Sein besser sei. Als sie aber ihre Mutter bemerkten, schwiegen sie und seitdem sterben immer wieder Menschen. Hätte die Frau, so fährt der Mythos weiter, die Zwillinge ihre Diskussion zu Ende führen lassen, hätte es in Zukunft entweder kein Leben oder keinen Tod gegeben. (23) Im Unterschied zur amerikanischen Mythologie, in welcher die Identität der Zwillinge, wenn überhaupt, immer nur einen "provisorischen" Charakter hat, der nicht von Dauer sein kann, macht sich in der griechischen Mythologie (z.B. Kastor und Pollux) die Tendenz bemerkbar, so Lévi-Strauss, die Zwillinge gleich bzw. homogen zu gestalten. Weil die amerikanisch-indianische Kosmologie und Soziologie ihre "innere Triebkraft" aus der Ungleichheit bezieht, hat das indianische Denken im Gegensatz zum indoeuropäischen aus dem Problem der Zwillingshaftigkeit eine "Erklärung der Welt gezogen": "Für das Denken der amerikanischen Indianer scheint eine Art philosophisches Klinamen unerläßlich zu sein, damit in einem beliebigen Sektor des Kosmos oder der Gesellschaft die Dinge nicht in ihrem Anfangszustand verharren und damit aus einem instabilen Dualismus - instabil, auf welcher Ebene man ihn auch erfaßt - stets wieder ein anderer instabiler Dualismus erwächst". (24)

Die Völker der Nordwestküste Nordamerikas stellen sehr oft die Zwillinge Tieren gleich (z.B. Bären oder Lachsen - ebenso sind Luchs und Coyote Zwillinge) und demselben Phänomen begegnet man auch bei den Azteken - das Wort coatl hat eine doppelte Bedeutung, nämlich "Schlange" und "Zwilling": "Der Name des Gottes Quetzalcoatl läßt sich also sowohl als >Federschlange< wie als >herrlicher Zwilling< interpretieren - wobei letztere Wortbedeutung wahrscheinlich daher rührt, daß Quetzalcoatl auf astronomischer Ebene den Planeten Venus darstellte, jenen Zwilling in seinen beiden Aspekten des Morgen- und des Abendsterns. Zwischen diesen beiden Bedeutungen könnte man auch eine dialektische Beziehung annehmen. Jede vereint zwei Terme: Schlange und Vogel in der einen, Zwillinge in der anderen. Diese beiden Terme aber führen im einen Falle eine maximale Opposition (zwischen Himmel und chtonischer Welt), im anderen eine minimale (zwischen Zwillingen) vor Augen. In diesen beiden Bedeutungen konnotiert der Name Quetzalcoatl also die obere und untere Grenze der Oppositionskategorie". (25)

Das duale Denken der amerikanischen Indianer begreift die Gleichheit und Symmetrie als etwas Negatives, einer der Zwillinge verkörpert stets das böse Prinzip bzw. einer der Zwillinge nimmt fast immer die Rolle eines Betrügers (trickster) ein - in Nordamerika häufig der Coyote. (26) Auch in den religiös-magischen Vorstellungen der heiligen Männer der Sioux haben die bösen Geister ihre unbestrittene Existenz, die nicht in einer universalen Versöhnung mit dem Guten absorbiert wird. (27) Man kann in diesem Sinne von einem manichäischen Prinzip sprechen, einer Koexistenz zweier ewiger und unversöhnlicher kosmischer Prinzipien. Der amerikanische Indianer denkt die Realität des Guten und des Bösen, er glaubt nicht an die Utopie der Universalität des Guten. Die Weltsicht in Begriffen der Dualität zeigt sich auch in mythologischen Vorstellungen der Völker Südkaliforniens (der gute und der böse Demiurg bekämpfen sich auf ewig) oder in jenen der Lakota-Sioux; auf immer und ewig stehen zwei Gottheiten sich einander bekämpfend gegenüber, ohne dass eine von beiden jemals endgültig besiegt werden kann - der gute göttliche Donnervogel ( wakinyan ) und der Riese Iyo . (28) Ein Spiel ohne Ende - die Spielregel heißt Dualität. Baudrillard zufolge kann es nur in der Dualität eine "radikale Andersheit" geben: "Die Andersheit gründet nicht auf einer vagen Dialektik des Einen und des Anderen, sondern auf einem unwiderruflichen Prinzip. Ohne dieses duale und antagonistische Prinzip wird man immer nur auf das Phantom der Andersheit stoßen, auf die Spiegelspiele der Differenz und einer Kultur der Differenz, in denen sich der große Gedanke der Dualität verloren hat". (29) Er spricht von einem "unwiderruflichen Prinzip", damit die Dualität von Gut und Böse "nicht wieder zugunsten irgendeiner finalen Versöhnung" aufgehoben wird, wie dies exemplarisch in der Prädestinationslehre vorgeführt wird - diese hat schließlich "keinen anderen Sinn als den, den banalen Tausch von Gut und Böse unmöglich zu machen". (30) Der Traum der Moderne alles Böse und Negative zu eliminieren (auch den Tod), wie es uns im amerikanischen Experiment von Biosphere II vor Augen geführt wurde, ist das "Idealmodell" der Ausmerzung aller "negativen Züge" - es gibt "keine Viren, keine Keime, keine Skorpione, keine sexuelle Reproduktion", alles ist "gesäubert, immunisiert, immortalisiert" - somit aber geht die Menschheit nach Baudrillard "in Richtung eines Verschwindens der symbolischen Charakteristika der Gattung", und Nietzsches Vision, "demzufolge die menschliche Gattung, sich selbst überlassen, sich entweder nur zu verdoppeln oder zu zerstören vermag", würde bestätigt werden. (31) Der Ausschluss der Andersheit kann nur "im Haß, im Rassismus und in mörderischen Experimenten" zurückkehren. (32)

Der Dualismus der indianischen Ideologie realisiert sich auch in der Sozialstruktur bzw. in der sozialen Organisation. So hat Lévi-Strauss anhand exemplarischer Beispiele von Populationen in Südamerika (Ost- und Zentralbrasilien) und Nordamerika (Winnebago Sioux) zu zeigen versucht, dass das duale Organisationsprinzip Ausdruck eines (von Rousseau emphatisch postulierten) Reziprozitätsmechanismus, aber auch eines Hierarchisierungsmechanismus ist. (33) Dass die duale Organisationsform nach Lévi-Strauss eine wirksame Methode zur Lösung vielfältiger Probleme bereithält, bewahrheitet sich unseres Erachtens bei den verschiedenen Siouxvölkern der amerikanischen Ebenen, insbesondere bei den Omaha Sioux. Im Unterschied zu anderen indianischen Nationen manifestiert sich der Dualismus nicht in der Mythologie, sondern in ihrer kosmisch und religiös verstandenen dualistischen Sozialstruktur. Wenn ein Sprecher die Omaha als Kollektiv ansprach, benutzte er die sprachliche Wendung: "Ho Himmelsleute, Erdleute, beide Seiten des Hauses". Schon diese Wendung lässt erkennen, dass der Stamm sich als eine duale Einheit, als einen dualen Organismus verstand. Die sichtbare und materialisierte Form war die kreisförmig angeordnete Errichtung der Zelte im Lagerring ( huthuga ). Jeder der 10 Clans nahm einen rituell festgesetzten Raum ein, der Lagerring wurde durch eine unsichtbare Linie in Ost und West eingeteilt, nördlich davon lagerten die 5 Clans der Himmelsleute, südlich die 5 Clans der Erdleute. Der Dualismus tritt in vielfältiger Weise in Erscheinung; die Übertretung der ostwestlichen Trennungslinie kostete den Knaben Prügel, beim rituellen Ballspiel (welches kosmische Bedeutung hatte, da sich die Ballbewegungen auf die Lebensbringer, d.h. auf die Winde, bezogen) traten die Himmelsleute gegen die Erdleute an. Beide Hälften hatten einen obersten Häuptling und eine Stammespfeife, deren Rauchen die Beschlüsse des Stammes heiligte - kein Beschluss aber konnte gefasst werden, wenn nicht beide Hälften einverstanden waren. Jede Familie schließlich ist eine Vereinigung zwischen Himmel und Erde, d.h. jede Heirat ist eine Vereinigung von Himmelsleuten und Erdleuten - die Vermischung von Himmel und Erde stellte für die Omaha den immer gegenwärtigen kosmischen Schöpfungsakt dar und in diesem Sinne sicherte der hieros gamos die Lebensdauer der Familie und des Stammes. Der Ursprung des Lebens ist das Zusammenwirken dualer kosmischer Kräfte, da der Himmel als männlich, die Erde als weiblich aufgefasst wird - diese duale Kraft liegt allen schöpferischen Prozessen zugrunde. Diese Idee war für die Omaha grundlegend und der huthuga (d.h. Haus, Wohnung) ist die Konkretisierung dieser Idee, er ist die sichtbare Form des kosmischen Hauses. Jeder Clan umfasst mehrere Zelte, jeder Clan besitzt eigene Namen, eigene Symbole, ein eigenes Zeremoniell. Die Symbole und Zeremonien der verschiedenen Clans der Erdleute symbolisieren bzw. sind eine Wieder-Holung der Natur bzw. des Naturjahres. Feldbauriten und Jagdriten stehen im Vordergrund, jedoch immer mit einem Bezug auf die mythische Schöpfung, das mythische Muster der Zeremonien ist das kosmische Urjahr, der erste Sommer der Erde. Aus diesem Grunde beginnt die Ordnung bzw. die Zählung der Clans auf der Südseite des Ostens mit dem Wapiticlan - es war der Wapiti, der in den Urzeiten die Winde zur Mitte der Welt rief, die das Wasser vom Urfelsen bliesen und so die Erde freilegten. Die Haare des sich auf der Erde wälzenden Wapiti blieben liegen und wurden zu Bohnen, Mais, Gräsern und Bäumen.

Die Zeremonien und Symbole der Himmelsleute hingegen spiegeln nicht so sehr die Natur, sondern das menschliche Leben, mit Lévi-Strauss gesprochen, die Kultur wider. Ihre Zeremonien sind Lebensfeiern vom ersten Keim der Zeugung bis hin zur rituellen Einführung des menschlichen Lebens in den Kosmos. So gab es den Clan der "Büffelschwanzleute", der die Krähe verehrte (diese gab den Menschen ihre Leiber, um auf der Erde leben zu können), den Clan der "Büffelkalbexkremente", der die Pflicht hatte mit entsprechenden Riten für die Fortdauer des Lebens zu sorgen (tabuisiert war der Büffelfötus), oder es gab den der Leute, die die "Kinder in Besitz nehmen" bzw. sie in den Kosmos rituell einführen, indem diese auf einem Stein stehend von links nach rechts - die vier Winde anrufend ("In die Mitte der Winde sende ich dich") - gedreht wurden. Somit wurde das Kind auf den Lebenspfad gesetzt, verlor seinen Babynamen und erhielt den Namen des Clans. (34)

Das dichotome Modell, über das das indianische Denken verfügt und welches es erlaubt Gegensätze in das Gedankensystem zu übertragen, hält auch eine "Leerstelle" für das Andere innerhalb der eigenen Gesellschaftsstruktur bereit. Insbesondere verkörpern die sogenannten Gegensätzlichen (contraries) bzw. die Clowns (wie sie die ethnologische Literatur bezeichnet) die Integration und die Akzeptanz der Andersheit, man könnte sie als eine "Metapher" der inneren und äußeren Andersheit betrachten. Sie sind die Tabubrecher schlechthin, sie stellen die dionysischen Kräfte und die animalischen Aspekte des Menschen lebhaft und öffentlich zur Schau. In ihrer Schamlosigkeit zeigen sie, dass der Mensch nicht nur ein "politisches Tier" ist, sondern dass die menschliche Existenz auch auf einer animalischen Basis fußt.

Die Sioux glauben, dass die mythischen Donnerwesen ( wakinyan ), wenn sie ihre Kraft unter die Menschen bringen wollen, veranlassen, dass ein Mann oder eine Frau vom Blitz (welcher durch das Öffnen des einen großen Auges des Donnervogels entsteht) träumt. Die träumende Person muss sodann den Donnerwesen versprechen, ihnen auf Erden zu dienen (ob es ihr gefällt oder nicht) und das Versprechen wird in der Heyoka - Zeremonie eingelöst. Mittelpunkt der Zeremonie ist das rituelle Kochen eines Hundes und das närrische Treiben der bereits initiierten Heyokas zur Unterhaltung der Anwesenden. Mit scheinbar törichten Handlungen, wie rückwärts auf dem Pferd reiten, das Schuhwerk verkehrt anziehen, so dass der Heyoka kommt, während er weggeht, werden die Anwesenden unterhalten. Im Allgemeinen sagt der Heyoka ja, wenn er nein meint und umgekehrt (35), ist ein heißer Tag, bedeckt er sich mit vielen Decken und zittert vor Kälte, ist ein kalter Tag, geht er nackt und beklagt sich über die Hitze, er sagt "Gott", wenn er "Hund" meint und "Hund", wenn er "Gott" meint. (36) Die närrischen Handlungen, die Gelächter hervorrufen, haben aber einen tieferen Sinn; sie bewirken, so Black Elk (selbst ein Heyoka Zeremonialmeister), dass der menschliche Geist für eine unmittelbare Erfahrung geöffnet wird: "The heyoka presents the truth of his vision through comic actions, the idea being that the people should be put in a happy, jolly frame of mind before the great truth is presented". (37) Den Heyokas werden große spirituelle Kräfte (symbolisiert durch den Blitz) zugeschrieben (38), seine unnatürlichen Verhaltensweisen werden als heilig betrachtet, er schützt die Menschen vor Blitz und Unwetter, da er mit seiner Kraft die Sturmwolken teilen kann, um den Regen von einem bestimmten Gebiet fern zu halten. Als Donnerträumer aber repräsentiert er eine duale Kraft, eine Kraft, die sowohl zerstört als auch schützt. Lame Deer meint dazu: "The thunder power protects and destroys. It is good and bad, as God is good and bad, as nature is good and bad, as you and I are good and bad [...] The good part is the light. It comes from the Great Spirit. [...] It brightens up the earth; it makes a light in your mind. It gives us visions [...] That light gave the people their first fire. And the thunder, that was the first sound, the first word, maybe [...] The lightning power is awesome, fearful. We are afraid of its destructive aspect ..." . (39)

Bei manchen Stämmen (z.B. Haida) konnten religiöse Zeremonien gar nicht erst beginnen, bevor nicht die Anwesenden, insbesondere die fremden Gäste, gelacht hatten - Berichten zufolge aber war der rituelle Humor nicht bei allen Stämmen lustig und aufmunternd, sondern eher langweilig und sogar gefährlich.(40) Arapaho Clowns waren dafür berüchtigt, alle Anwesenden zu Tode zu langweilen; Navaho und Apachen Clowns erschreckten die Kinder, indem sie ihnen drohten sie zu verzehren; Kwakiutl Clowns bewarfen die Menschen mit kleinen Steinen oder stachen sie mit spitzigen Stöcken, so dass gelegentlich, so berichtet Boas, auch Menschen zu Tode kamen. Ein wesentliches Merkmal vieler Clowns ist ihre Armut, sie haben nur sich selbst und ihre Handlungen. Sie bekleiden sich mit Lumpen, betteln oder stehlen, eigentlich ein Tabubruch, aber bei den Irokesen und bei kalifornischen Stämmen war der Diebstahl von Seiten des Clowns eine allgemein akzeptierte Sache. Die Clowns der Cheyenne waren ebenfalls nur mit spärlichen Lumpen bekleidet und in ihrem Zelt lagen sie mit dem Kopf und dem Rumpf auf dem Boden und mit ihren Beinen in der Luft, angelehnt an die Innenwände des Zeltes - man sagte von ihnen, sie handelten wie der Blitz, damit sie eins wurden mit jener Kraft, die sie am meisten fürchteten. Sie machen die heiligen Männer bzw. die Priester lächerlich, greifen den Frauen an die Brüste und, den Heyokas der Sioux gleich, fassen mit der nackten Hand ins kochende Wasser, um den bei der Zeremonie zubereiteten Hund unter den Anwesenden zu verteilen und zu verspeisen. Das Handeln der Clowns bedeutet in diesem Sinne auch eine Befreiung von kosmischen Ängsten und von konventionellen Vorstellungen des Heiligen und Gefährlichen in religiösen Zeremonien. Die Wintu und Maidu Clowns machen sich über den schlechten Gesang des heiligen Mannes lustig, die Clowns der Navaho geben die Kunststücke des Schamanen der Lächerlichkeit preis. Obwohl sie die Ursache für eine Relativierung der religiösen Autoritäten und der religiösen Stammesaktivitäten sind, offenbaren sie den Anwesenden eine höhere Wahrheit, indem sie ihnen zu verstehen geben, dass es nicht der Schamane selbst ist, der die Kraft hat zu heilen, sondern dass seine Handlungen nur die "symbolische" Demonstration jener heilenden Kraft sind, die selbst unsichtbar ist.(41)

Die Fähigkeit der indianischen Religionen einen offiziellen Raum für die ganz anderen, relativierenden, auflösenden, verrückten, aber auch kreativen Kräfte der Clowns zu schaffen, ist vielleicht jenes Merkmal, das ihnen die größte Flexibilität, Absorptions- und Überlebenskraft verleiht. Der erste Clowns in den Schöpfungsmythen der Acoma Pueblos, von dem gesagt wird, er wusste etwas über sich selbst, war deshalb so verschieden von den anderen Menschen, dass der oberste Gott beschloss, ihn nicht für immer auf der Erde leben zu lassen. Obwohl er verrückt war, nichts fürchtete oder als heilig anerkannte, war seine Anwesenheit sei es auf der Erde, sei es im Himmel erlaubt - er half der Sonne bei der Überquerung des Himmels und auch den Erdenmenschen, indem er sie beispielsweise das Erntedankfest lehrte. Für die Isleta Pueblos waren es die Clowns, die ihre Hörner dazu benutzten, die Menschen aus der Unterwelt, der Welt der Unwissenheit, auf die Erdoberfläche zu bringen. Bei den Apachen, die die Unterwelt als geistig und heilig, die Welt des Lichtes hingegen als von Krankheiten verschmutzt betrachten, verfügte der mythische Clown, der sie aus der Unterwelt emporführte, über ein derart schreckliches Lachen, dass er damit die Krankheiten von der Erdoberfläche vertreiben konnte. Hier zeigt sich die heilende Funktion der Clowns, eine Funktion, die sie in vielen Stämmen innehaben - die Cree und Ojibwa Clowns verjagen die Krankheiten aus dem menschlichen Geist mittels eines plötzlichen und fürchterlichen Lachens. Navaho, Cheyenne und Sioux Clowns erschrecken die Menschen, um sie dadurch von ihren Sorgen und eitlen Gedanken zu befreien und zu heilen. Hopi und Zuni Clowns treten als Heiler des Magens auf, sie selbst sind immun gegen Magenprobleme und Vergiftungen, da sie Schmutz und Exkremente verschlingen sowie Urin trinken. Von Zuni Clowns wird berichtet, dass sie junge Hunde, egal ob tot oder lebendig, Steine, Asche und Hölzer verschluckten. In einem Hopi Pueblo, so Berichten zufolge, tranken sieben Clowntänzer drei Gallonen alten, nach Fäulnis riechenden Urin, schmierten sich damit ihre Körper ein und schrien laut: very sweet .

Die Schamlosigkeit der Clowns tritt aber insbesondere hinsichtlich der Sexualität in Erscheinung: Ponca Clowns berühren bei vollem Tageslicht die Genitalien der Frauen, Pueblo Clowns stellen ihre eigenen Genitalien öffentlich zur Schau, Yuki Clowns halten einander am Penis, Crow Clowns simulieren einen Geschlechtsverkehr mit Pferden und Zuni Clowns raten den Menschen, sich mit Widdern zu paaren. Von einem Hopi Pueblo wird berichtet, dass zwei Clowns eine Frau jagten, sie "symbolisch" vergewaltigten und ein dritter masturbierte öffentlich.

Mit Hans Peter Duerr muss man feststellen, dass die Gegenteilmenschen der indianischen Gesellschaften ein "Sicherheitsventil" darstellen: "Indem man dem >ganz anderen< einen offiziellen Platz im Eigenen zuerkennt, vermindert man dessen Verdrängung und schützt sich dadurch vor der gefährlichen Wiederkehr des Verdrängten"; der Clown agiert "stellvertretend verbotene Gedanken und Gefühle" aus und diese "zeitlich begrenzte >Entwertung oder Umwertung aller Werte>" scheint schließlich zu bewirken, dass das "Konfliktpotential in wildbeuterischen Gesellschaften wesentlich geringer ist" als in anderen.(42) Der englische Quantenphysiker David F. Peat sieht in den indianischen Clowns eine Herausforderung der Natur und der Gesellschaft. Immer wenn Ordnung und Harmonie herrschen, tritt der Clown dazwischen und stört die Ordnung, er macht Grenzen sichtbar, indem er sie überschreitet. Der Clown unterstreicht die Bedeutung von Ordnung durch das genaue Gegenteil, durch die Unordnung. Der Clown erinnert uns an die dionysischen Kräfte innerhalb der menschlichen Gesellschaft und in uns selbst, er erinnert uns an die Nichtigkeit unseres Strebens nach Sicherheit, Kontrolle und absoluter Macht.(43) Der Clown erinnert uns auch daran, dass der Körper keine beherrschbare Maschine ist, seine "Spottlust" ist ein "Zeichen der Gesundheit", denn nach Nietzsche gehört " alles Unbedingte in die Pathologie".(44)

Der Nonkonformismus, die Aggressivität, Perversität, das animalische Niveau und die Schamlosigkeit der indianischen Clowns erlauben es auch, Analogien zum griechischen Kynismus zu ziehen. Der Kyniker Diogenes von Sinope furzt, uriniert und masturbiert öffentlich vor den Augen aller, er verachtet Reichtum, parodiert die Götter und die Herrscher, er ist arm und besitzlos, bettelt und stiehlt, isst rohes Fleisch und läuft barfuß im Schnee (45); seine Waffe ist das Lachen und das Gelächter, das er hervorruft. Die indianischen Clowns parodieren wie Diogenes religiöse und staatliche Autoritäten, sie unterwerfen sich nicht dem jeweiligen "Realitätsprinzip", sie sprechen auf eine andere, eine körperliche und animalische Weise wahr, sie geben zu verstehen, dass man sich für die eigene Physis und ihre animalischen Seiten nicht zu schämen braucht. Wenn Diogenes auf die Frage nach dem Nutzen der Philosophie antwortet, sie habe ihm geholfen, auf jedes Schicksal gefasst zu sein, dann drückt er damit aus, dass der Weise "buchstäblich überall leben kann, weil er an jedem Ort mit sich und den >Naturgesetzen< übereinstimmt" (46) - eine Idee, die auch die indianischen Clowns verkörpern. Die Kyniker verwenden "den animalischen Menschenkörper und seine Gesten als Argumente [...]. Diogenes widerlegt die Sprache der Philosophen mit der des Clowns: >Als Platon die Definition aufstellte, der Mensch ist ein federloses zweifüßiges Tier, und damit Beifall fand, rupfte er einem Hahn die Federn aus und brachte ihn in dessen Schule mit den Worten: Das ist Platons Mensch; infolgedessen ward der Zusatz gemacht: Mit abgeplatteten Nägeln<".(47) Die Clowns widerlegen die Sprache der heiligen Männer, indem sie deren sakrale Gesänge und Gesten ironisierend nachahmen. Auf die in der Stammesgemeinschaft herrschenden strikten sexuellen Tabus antworten die Clowns mit simulierter Sodomie und öffentlicher Masturbation, so wie Diogenes, "dieser philosophierende Stadtstreicher auf Platons feinsinnige Lehre vom Eros mit einer öffentlichen Masturbation antwortet".(47) Der "Hundmensch" Diogenes wirft zwar nicht mit gekochtem Hundefleisch um sich und verschlingt getrockneten Hundekot (wie vom Verfasser in der Pine Ridge Reservation beobachtet), aber er lebt wie ein Hund: "Weil ich mit Schwänzeln begrüße, die mir etwas geben, anbelle, die mir nichts geben, und beiße, die Böses tun".(48) Treten die Clowns schließlich bei vielen Stämmen als Heiler auf, so ist auch Diogenes ein Therapeut, er zeichnet ein "therapeutisches Gegenbild zur gesellschaftlichen Unvernunft", er erklärt "seine Mitbürger zu Sozialkrüppeln, zu verbildeten, süchtigen Wesen, die in keiner Weise dem Bild des autarken, selbstbeherrschten und freien Individuums entsprechen, mit dem der Philosoph seine eigene Lebensform auszulegen versucht".(49)

Der individuelle Nonkonformismus der Clowns wurde nicht als bloße Verrücktheit, Anarchie und Blasphemie abgetan, sie wurden nicht als Wahnsinnige und Unvernünftige ausgeschlossen bzw. eingeschlossen, man begegnete ihnen mit Respekt und ihr Verhalten verstand man als Demonstration einer geistigen Kraft - wie die Menschen von Acoma Pueblo von ihrem ersten Clown behaupten - er wusste etwas über sich selbst.

Die Öffnung für das ganz Andere lässt sich bei den meisten Stämmen ebenso im Umgang mit Homosexuellen, Lesben, Transvestiten und Hermaphroditen feststellen. Insbesondere bei den Navaho galten diese als bevorzugte Personen, nur Krieg und Jagd waren Aktivitäten, von denen sie ausgeschlossen waren. Das Phänomen "Fraumann" bzw. "Mannfrau" war und ist bei den Stämmen der Plains weit verbreitet; die Lakota Sioux nennen Männer, die wie Frauen handelten und sexuelle Beziehungen zum männlichen Geschlecht unterhalten winkte (d.h. sie werden bzw. sollen Frauen sein). Auslösendes Moment ist auch hier ein Traum oder eine Vision [z.B. von einer menstruierenden Frau träumen oder von bestimmten mythologischen Figuren wie Anog Ite ( Zweigesicht)] und die Stellung eines winkte innerhalb der Gesellschaft war in früheren Zeiten die einer "Medizinfrau". Ein winkte gab einem Kind einen geheimen so genannten long life name , den das Kind sein Leben lang niemandem preisgab, was ihm dann auch ein langes Leben sicherte. (50)

Die "Öffnung zum Anderen hin", die Ablehnung der Gleichheit im Sinne einer Gleichförmigkeit unter dem Diktat einer universalen (göttlichen) Vernunft, die dem Rassismus gleich alle Formen der Andersheit ausschließt, die Ablehnung von universellen Kategorien, mittels derer das Unbekannte wie das Bekannte klassifiziert wird, und endlich ein pluralistisches Weltverständnis können als einschlägige Charakteristika des indianischen Denkens ausgewiesen werden. Lame Deer präzisiert: "Für uns ist ein Mensch, was die Natur und seine Träume aus ihm machen. Wir akzeptieren ihn so, wie er gerne sein möchte [...] Der Große Geist möchte, daß die Menschen verschieden sind [...] Sogar Tiere von derselben Gattung - zwei Hirsche, zwei Eulen - unterscheiden sich voneinander in ihrem Verhalten. So mag es der Große Geist. Er umreißt nur ungenau den Lebensweg für alle Kreaturen auf der Erde, zeigt ihnen, wo sie entlang gehen und wo sie ankommen sollen, aber sie sollen ihren eigenen Weg dorthin finden".(51) "Anders zu sein, selbst innerhalb der gleichen Art", so führt Vine Deloria aus, "steht der Einheit und Homogeneität nicht im Wege und braucht keine Gewalt" - die Andersheit ist vielmehr eine fundamentale philosophische Erkenntnis: "Mit der Schöpfung zu leben ist mehr als nur die Duldung anderer Lebensformen; es ist die Erkenntnis, daß in der Verschiedenheit die Stärke der Schöpfung liegt und daß diese Stärke die Absicht des Schöpfers ist".(52) Der amerikanische Indianer lehnt "ein universelles Konzept von Brüderlichkeit zugunsten der respektvollen Behandlung der Menschen, mit denen er Kontakt hat" ab, weil, wie schon Sitting Bull äußerte, keine Notwendigkeit besteht, dass "Krähen Adler werden". So hat der unter der Metapher des Universellen, des Vernünftigen und des Guten laufende eurozentristische Versuch, "die Welt in Adler zu verwandeln", die Transparenz des Bösen (Baudrillard) sichtbar gemacht und "lediglich Geier produziert". (53)

Die idealistische Philosophie Fichtes, die das Ich sein eigenes Sein setzen lässt, die dem Anderen des Ichs, sei es dem Leib als auch der Materie bzw. Mutter Natur keine Eigenständigkeit zuerkennt, weil ins Ich verlegt, muss als die der indianischen Philosophie diametral entgegengesetzte Position erscheinen. An die Stelle der produktiven Mutter Natur tritt das Ich, das durch sich selbst ist; die Natur ist nur noch dazu da, dass das Ich sich von ihr abstößt. Obgleich bei Fichte der Versuch unternommen wird, den Menschen in Bezug auf das Nicht-Ich, also auf das, was er nicht ist, zu denken, folgt daraus "keineswegs die Anerkennung des Nicht -Ich als Anderem des Ich, also etwa des Leibes oder der Natur"; auch wenn das Ich bzw. die Identität zur Selbstkonstitution das Nicht -Ich bzw. die Nicht -Identität benötigt, wird das Nicht -Ich durch das Ich, welches die "Quelle aller Realität" ist, hervorgebracht: "Insofern das Ich absolut ist, ist es unendlich und unbeschränkt. Alles, was ist, setzt es; und was es nicht setzt, ist nicht ... Alles aber, was es setzt, setzt es als Ich; und das Ich setzt es, als alles, was es setzt. Mithin faßt in dieser Rücksicht das Ich in sich alle, d.h. eine unendliche, unbeschränkte Realität".(54) Das Nicht -Ich ist eine Tätigkeit des Ichs, weil es auf das Ich identifizierend wirkt, weil das Ich zur Selbstkonstitution das Leiden (durch das Nicht -Ich hervorgerufen) benötigt. Die unendliche Realität des Ich und die unendliche Tätigkeit des Ich muss nicht wirklich ein Tisch, einen Stein oder sonst etwas hervorbringen, es ist ausreichend, "daß sie gesetzt sind als Nicht -Ich, von dem als seiner Entgegensetzung das Ich siegreich sich abhebt".(55) Diese souveräne Affirmation des Selbstbewusstseins zerstört das Spiel der Dualität und Reziprozität, nimmt den Dingen und der Natur ihre Autonomie und realisiert den Traum eines freien und vollkommenen Subjektes, eines Subjektes ohne Anderen. Wenn dieser Traum zu Ende geträumt ist, bleibt nichts als die "unendliche Metastase der Identität". (56)
Die amerikanisch-indianische "Ideologie" treibt das Andere nicht aus. Das Andere, sei es in Gestalt anderer Rassen oder Kulturen, sei es in der Gestalt des Bösen, des Schicksals oder in Gestalt von Göttern (Gott) und Geistern, wird als existent begriffen und anerkannt. Realität bedeutet nicht Identität und Uniformität, sondern Pluralität und seiende Heterogeneität. Gott ist noch nicht tot, denn nach Nietzsche sterben Götter vor Lachen, wenn sie einen Gott sagen hören, er sei der Einzige.


Notes:

* Vgl. Tzvetan Todorov, Die Eroberung Amerikas, Seite 291.

1. Vgl. Lévi-Strauss, Die Luchsgeschichte, Seite 260.

2. Ebda., Seite 243. Die "Leerstelle", die nach Lévi-Strauss "allen Völkern der Neuen Welt gemeinsam ist", hatte für diese Völker folgenschwere Konsequenzen: "Es ist hinreichend bekannt, daß die Vernichtung der Azteken und Inka, die unfähig waren, den Eroberern einen effizienten Widerstand entgegenzusetzen, sich zum Großteil daraus erklärt, daß sie in ihnen verschwundene Gottheiten wiederzuerkennen glaubten, deren Wiederkehr altheilige Traditionen sie erahnen oder sogar erhoffen ließen. Als Quetzalcoatl, der Kulturbringer der Tolteken (von denen die im 13.Jahrhundert in Mexiko angelangten Azteken ihre Kultur übernommen hatten), von einer rivalisierenden Gottheit vertrieben, sein Volk verlassen mußte, verkündigte er, eines Tages würden übers Meer, aus der Richtung der aufgehenden Sonne, Wesen kommen, die ihm ähnlich sähen, den die Indianer sich in Gestalt eines großen, hellhäutigen Mannes mit langem und abgerundetem Bart vorstellten. Deshalb auch hielten die Indianer, so sagen die Chroniken, als sie die Christen sahen, sie für Götterbrüder und -söhne von Quetzalcoatl. Die Maya kannten dieselbe Prophezeiung: >Empfangt eure Gäste<, liest man in einem ihrer heiligen Bücher, >die bärtig sind und aus dem Morgenland kommen<". Demgegenüber waren für europäische Gelehrte die Indianer und ihre Rituale von vorneherein bekannt, d.h. sie waren Werke des Teufels. Dass diese Überzeugung hartnäckig aufrecht erhalten wurde, zeigt sich nach Lévi-Strauss insbesondere bei Pater de Smet, der noch mitten im 19. Jahrhundert die Feldzüge der Sioux und die Menschenopfer der Pawnee mit folgenden Worten beurteilte: ">Wer wollte angesichts so vieler Schreckenstaten darin nicht den unsichtbaren Einfluß des Feindes des Menschengeschlechts erkennen?<" (ebda., Seite 241).

3. Vgl. Lévi-Strauss, Die Luchsgeschichte, Seite 62-65.

4. Ebda., Seite 15.

5. Ebda., Seite 75.

6. Ebda., Seite 75. Der aus dem 19. Jahrhundert gesammelte Gê-Mythos scheint nach Lévi-Strauss weniger radikal zu sein, als der im 16. Jahrhundert bei den Tupinambá gesammelte: "Der Grund ist leicht zu erraten: Die Gê traten erst im 18. Jahrhundert in dauerhaften Kontakt zu den Weißen, zweihundert Jahre nach den Küsten-Tupí, zu einer Zeit, da die portugiesischen Siedler bereits alle erdenkliche Zeit gehabt hatten, sich niederzulassen, und auf die Indianer einen stärkeren und brutaleren Druck ausüben konnten als im 16. Jahrhundert, als die noch wenig zahlreichen Weißen sich mühsam Zugang verschaffen mußten".

7. Ebda., Seite 242.

8. Ebda., Seite 244.

9. Auch wenn die Prophezeiungen nur aus Texten nach der Eroberung bekannt sind, schließen wir uns diesbezüglich der Argumentation von Lévi-Strauss an, der behauptet, dass all diese "mythischen Darstellungen [... ] zum Urgestein der amerikanischen Mythologie" zu zählen sind, da auch in Nordamerika, insbesondere in den Mythen der Nordwestküstenindianer so genannte Zwillingsmythologien (Zwillinge werden Tieren gleichgestellt) zu finden sind. Und Lévi-Strauss ergänzt: "Gleichwohl erscheint es schwierig, den Empfang zu beargwöhnen, den die Azteken Cortés und seinen Gefährten bereiteten, und zwar in der Form, wie er etwa dreißig Jahre nach den ganzen Vorfällen dem Spanier Sahagún erzählt wurde. In der Überzeugung, Quetzalcoatl sei wiedergekehrt, schickte Montezuma Gesandte aus, die mit allen regalia von Gottheiten beladen waren: mit Türkisen inkrustierten Masken, mit Ohrgehängen, mit von kostbaren Federn leuchtenden Prunkwaffen, mit Gold- und Jadehalsbändern, mit verschwenderischen Kopfbedeckungen usw. Sie bekleideten Cortés mit diesen heiligen Gewändern und überhäuften ihn mit Zeichen der Verehrung" (ebda., Seite 244-245).

10. Vgl. Frank Waters, Das Buch der Hopi, Seite 59.

11. Diese symbolische Handlung wurde von den Spaniern nicht verstanden, sie bedeutete, dass für jeden Menschen auf der Erde eine geistige und weltliche Heimat vorbereitet ist. Der Mais ist für die Hopi wie die Erde eine "lebende Wesenheit" und Mutter Erde wird oft mit Maismutter gleichgesetzt (ebda., Seite 31).

12. Ebda., Seite 354.

13. Vgl. Thomas Mails, Das Leben des Fools Crow, Seite 171.
Eine amüsante, aber zugleich prägnante Geschichte des Denkens und der Akzeptanz der Andersheit erzählt Büffelkind Langspeer, ein Blackfoot aus der Blood Reservation in Kanada (Alberta). Ein weißer Missionar wollte den Häuptling der Blackfoot davon überzeugen, dass der einzig wahre Gott, den die Blackfoot anbeten sollten, der christliche sei. Der Häuptling der Blackfoot erhob sich und sprach: "Wenn das wahr ist, was du sagst, [...] dann beten wir Indianer denselben Gott an, dem du auch dienst - nur auf eine andere Weise. Als der Große Geist, Gott, die Welt erschuf, gab er dem Indianer eine Art ihn anzubeten, und dem Weißen eine andere, weil wir verschiedene Menschen sind und unser Leben verschieden führen. [...] Der Indianer sagt dir nicht, wie du Gott dienen sollst. Wir haben des gern, wenn ihr ihn nach eurer Art anbetet, weil wir wissen, daß ihr diese Art am besten versteht". Als der Missionar daraufhin nochmals festhielt, dass der Gott der Blackfoot nicht derselbe sei wie jener der Christen, antwortete der Häuptling unmissverständlich: "Dann muß es zwei Götter geben" (Vgl. Häuptling Büffelkind Langspeer, Seite 137.).

14. Die von Lévi-Strauss wiederholt hervorgehobene "Leerstelle" ist ein konstitutives Merkmal des Strukturalismus und kann daher unseres Erachtens mit der Interpretation des Begriffes wakan als eines "symbolischen Nullwertes" verglichen werden. In der Einleitung zum Werk von Marcel Mauss stellt sich Lévi-Strauss die Frage, ob der Begriff wakan nicht eine "universelle und bleibende Form" des menschlichen Denkens zum Ausdruck bringt; eine Form, "die gerade nicht für bestimmte Zivilisationen oder angeblich archaische oder halbarchaische >Stufen< der Evolution des menschlichen Geistes charakteristisch" ist. Wenn die Sioux das erste Pferd, das sie zu Gesicht bekamen, sunka wakan , also geheimnisvollen (heiligen) Hund, nannten, weil es in keiner Weise einem menschlichen Wesen, sondern vielmehr einem Hund gleichsah, nur dass es viel größer war, so gehen sie wie ein Franzose vor, der einen ihm nicht vertrauten und unbekannten Gegenstand als machin (d.h. Dingsda) bezeichnet. Dieser Begriff verweist darüber hinaus auf "Maschine" und entfernter noch auf die "Idee der Kraft und der Macht" (gerade diese Idee ist auch im Begriff wakan impliziert). Der Unterschied zwischen wakan und machin besteht für Lévi-Strauss nun in der Tatsache, dass wakan ein "Bedeutungssystem" begründet, das bei uns ausschließlich der Wissenschaft vorbehalten ist. Obwohl der Begriff wakan "in sich selbst sinnleer" ist, ist er geeignet "jeden beliebigen Sinn anzunehmen", d.h. er hat die Funktion, "eine Kluft zwischen Signifikant und Signifikat zu schließen" bzw. er zeigt an, dass "unter bestimmten Umständen [...] zwischen Signifikant und Signifikat ein Verhältnis der Inadäquatheit entsteht". Der Begriff des wakan gehört nicht der "Ordnung der Realität" an, sondern jener des "symbolischen Denkens". Lévi-Strauss zufolge enthält die Tätigkeit des symbolischen Denkens einen Widerspruch: Der Mensch verfügt über einen "Überfluß an Signifikanten [...] im Verhältnis zu den Signifikaten", zwischen beiden wird "immer eine Inadäquation, die nur für den göttlichen Geist auflösbar ist" bestehen. Der Mensch verfügt daher immer schon über einen "Überfluß an Sinn" und Begriffe wie wakan stellen "flottierende Signifikanten" dar, die, obwohl "Bedingung aller Kunst, aller Poesie, aller mythischen und ästhetischen Erfindung", von der modernen wissenschaftlichen Erkenntnis "diszipliniert" werden. Begriffe wie wakan , manitu oder orenda sind ein "bewußter Ausdruck einer semantischen Funktion" und ihre Rolle ist die Ermöglichung der Tätigkeit des symbolischen Denkens. Ob man nun das wakan als etwas Abstraktes oder Konkretes, als etwas Allgegenwärtiges oder Nicht-Allgegenwärtiges, als eine Qualität, einen Zustand oder eine Kraft interpretiert, ist einerlei: Es ist nämlich alles zugleich und zwar deshalb, weil es nichts von allem ist. Wakan ist ein "Symbol im Reinzustand", der jeden symbolischen Inhalt in sich aufnehmen kann; es ist ein "symbolischer Nullwert", dessen Funktion darin besteht, "sich der Abwesenheit von Sinn entgegenzusetzen, ohne selber irgendeinen bestimmten Sinn mitzubringen" (Vgl. Lévi-Strauss, Einleitung zum Werk von Marcel Mauss, In: Marcel Mauss, Soziologie und Anthropologie I, Seite 7-41.). Dieser "symbolische Nullwert" und mithin die "Leerstelle" sind für den philosophischen Strukturalismus konstitutiv und zwar in dem Sinne, als diese Leere, so Deleuze, kein "Nicht-Sein" bzw. "kein Sein des Negativen" zum Ausdruck bringt, sondern vielmehr das "positive Sein des >Problematischen<, das objektive Sein eines Problems und einer Frage" (Vgl. Gilles Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus?, Seite 54.).

15. Vgl. Lévi-Strauss, Die Luchsgeschichte, Seite 82-83.

16. Ebda., Seite 82. "Was diese Mythen implizit verkünden, ist, daß die Pole, zwischen denen sich die Phänomene der Natur und das Leben-in-Gesellschaft einordnen - Himmel und Erde, Feuer und Wasser, Oben und Unten, Nähe und Ferne, Indianer und Nicht-Indianer, Mitbürger und Fremde usw. -, keine Zwillinge sein können. Der menschliche Geist müht sich ab, sie zu paaren, ohne daß es ihm gelänge, Parität zwischen ihnen herzustellen. Denn es sind ebendiese gestuft-differentiellen Abstände in der Form, wie sie das mythische Denken entwirft, die die Maschine des Universums in Schwung setzen. Und das gilt bis ins Detail hinein. Eine zeitgenössische, im Jahre 1912 in Südbrasilien gesammelte Version der Tupí-Genesis erzählt, daß einer der Zwillinge, allzu begierig darauf bedacht zu saugen, die Brust seiner Mutter verunstaltete. Seither haben die Frauen einen asymmetrischen Busen: nicht einmal die Brüste können Zwillinge sein!".

17. Ebda., Seite 81 bzw. 141.

18. Vgl. Jean Baudrillard, Der unmögliche Tausch, Seite 48.
Demgegenüber muss aber festgehalten werden, dass insbesondere die nordamerikanisch-indianischen Traditionen eine sehr divergierende Einstellung gegenüber dem Zwillingstum haben. Für die Kwakiutl, wie Franz Boas berichtet, war eine Zwillingsgeburt ein "wunderbares Ereignis". In Anlehnung an Boas und George Hunt berichtet Lévi-Strauss von den Kwakiutl: "Dennoch unterwarfen sie den Vater und die Mutter allen erdenklichen Vorschriften und Verboten [...]. Vier Jahre lang lebten die diesen Regeln unterworfenen Eltern abgeschnitten von ihrer Gemeinschaft, ganz im Banne der Unmöglichkeit, irgendeine produktive Tätigkeit auszuüben [...]. Ihre Verwandtschaft unterstütze sie; während dieser ganzen Periode bot sie ihnen materielle und moralische Hilfe, denn die Familien der Frau und des Mannes waren stolz, diese mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestatteten Wesen zu den Ihren zählen zu dürfen: Zwillinge, die, neben anderen Gaben, über die Fähigkeiten verfügten, Kranke zu heilen, günstige Winde zu wecken und über Regen und Wind zu gebieten. Man wußte, daß das ungeheure Prestige der Zwillinge auf alle ihre Angehörigen überströmen würde. Das war aber nicht das einzige Motiv; [...], wenn sie so handelten, dann deshalb, weil alle Familienmitglieder, wie die Indianer glauben, sterben werden, wenn der Vater und die Mutter der Zwillinge diese Bräuche nicht befolgen. [...] Wenn der Vater und die Mutter der Zwillinge eine wirklich starke Seele haben, hören sie vier Jahre lang auf zu arbeiten - wohlgemerkt, wenn diejenigen hinreichend zahlreich sind, die sich um sie kümmern und ihnen Holz für das Feuer und ihre gesamte Nahrung liefern können" (Vgl. Lévi-Strauss, Die Luchsgeschichte, Seite 142-143). In dieser Hinsicht wird es auch verständlich, dass es, wie Mauss über die Quellen von Boas berichtet, bei den Kwakiutl ein Potlatch für Eltern von Zwillingen gab, die arbeiten gehen.

19. Ebda., Seite 83.

20. Ebda., Seite 247.

21. Ebda., Seite 248.

22. Hier eine kurze Zusammenfassung des irokesischen Schöpfungsmythos (Fassung der Onondaga): Aus Eifersucht beschloss der Himmelshäuptling die Urwelt zu verändern. Er entwurzelte den Lichtbaum und durch die Öffnung stieß er seine schwangere Frau und mit ihr die Urwesen Mais, Tabak, Bohne, Hirsch, Bär usw. in die heutige Welt hinunter. Diese Tiere und Pflanzen verwandelten sich in die uns heute bekannten Formen der irdischen Welt. Ihre Urbilder aber bzw. ihre älteren Brüder blieben in der oberen himmlischen Welt. Die herabstürzende Frau wurde von der Schildkröte aufgefangen, eine ganze Schar von Bisamratten förderten Schlamm aus dem Meer und säumten damit den Rücken der Schildkröte. Somit schufen sie die Erde. Die Frau gebar ein Mädchen, die schnell zur Frau heranwuchs. Alsbald wurde auch sie schwanger und schon während ihrer Schwangerschaft spürte sie in ihrem Leibe, wie sich die Zwillinge stritten. Ein Zwilling wurde auf natürliche Weise geboren, der zweite dagegen bestand aus Feuerstein und brach durch die Achselhöhle hervor, wobei er seine Mutter tötete. Seiner Großmutter gegenüber beteuerte er immer wieder seine Unschuld am Tode der Mutter, weshalb er von ihr zärtlich gehegt und gepflegt wurde. Der auf natürliche Weise geborene bzw. der "gute" Zwilling hingegen wurde von ihr verstoßen. Dieser wuchs schnell heran und erhielt Hilfe von seinem Vater. Durch seine übernatürlichen Kräfte ließ er auf Grund seiner Wanderungen die Erde wachsen. Gleichzeitig schuf er verschiedene Tiere und brach dem Büffel, dem Elch und dem Hirsch die oberen Zähne aus, damit sie den Menschen nicht gefährlich werden konnten. Der "böse" Zwilling bzw. der Feuersteinjunge versuchte es seinem Bruder nachzumachen und gestaltete wie sein Bruder einen Vogel. Es wurde aber kein Vogel, sondern eine Fledermaus. Die vom menschenartigen Zwilling geschaffenen Tiere wurden vom Feuersteinjungen in eine große Höhle eingeschlossen, von welchen nur die uns heute bekannten Arten mit Hilfe des "guten" Zwillings entfliehen konnten. Der Feuersteinjunge störte immer wieder die guten Werke seines Bruders: Einmal baute er eine Eisbrücke über den Ozean, um fürchterlichen Ungeheuern, die die Menschen töten sollten, aus dem gegenüberliegenden Lande einen Weg zu dieser Erde zu bahnen. Der "gute" Zwilling aber zerstörte die Brücke. Auch Sonne und Mond wurden vom Feuersteinjungen und von der Großmutter gefangengenommen. Der "gute" Zwilling befreite sie aber, warf sie an den Himmel und machte damit das Licht allen zugänglich. Der Feuersteinjunge versuchte alle Einrichtungen seines Bruders zunichte zu machen, er schuf keine Menschen, sondern Ungeheuer, er schuf große Gebirge und emporragende Felsklippen, damit sich die Menschen auf Reisen ängstigen sollten. Eines Tages aber kam sein Ende: Mit Feuerstein und Hirschgeweihen schlug der "gute" Zwilling Stücke aus dem Leibe seines Bruders heraus, der schließlich tot zu Boden sank und die heutigen Rocky Mountains sind die körperlichen Reste des bösartigen Zwillings. Er lebt aber heute noch in verschiedenen Nachtzeremonien der Irokesen weiter (Vgl. Werner Müller, Die Religionen der Waldlandindianer Nordamerikas, Seite 114 - 128).
Wie Lévi-Strauss interpretiert auch der Quantenphysiker David Peat die Dualität der Zwillinge als eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Existenz der Welt. Er schreibt: "In so many ways scientists are beginning to percieve the underlying duality of chaos and order, the one emerging out of the other. Order and chaos are like the two brothers in the stories told by the Iroquois people. When one of the brothers produce something, the other creates its opposite; when one of the brothers produces order, the other will turn this order upside down. Non-Natives interpret these brothers as >good< and <evil< and see an image of the Western picture of the battle between God and the Devil in their eternal confrontations. Yet to Native people this loses the deeper meaning of the stories, for both brothers are necessary, and each must be acknowledged. To have one brother without the other would be to create disharmony in the world, for order cannot exist without chaos, nor chaos without order" (Vgl. David Peat, Lighting The Seventh Fire, Seite 176.).
Dieser Dualismus eines "guten" und "bösen" Prinzips findet sich nach Peat auch in der aztekischen Religion, er hält die Maschine des Universums im Fluss und darf nicht mit moralisch-ethischen Kategorien vermengt werden. Dieser Fehlinterpretation ist unseres Erachtens die Ethnopsychoanalyse Mario Erdheims erlegen: Grausame Gottheiten wie z.B. Tezcatlipoca oder Huitzilopochtli sind für ihn etwas Erschreckendes und sie sind Grund dafür, dass sich der Azteke "von phantasmagorischen Ängsten" geplagt sah. Die aztekische Religion ist ein "gegenevolutives Organisationsprinzip" und "blockierte das Lernniveau der Gesellschaft". Die "Maschine", die die Ängste produzierte, war der Körper und das "Erschreckendste an der aztekischen Religion war die Gleichsetzung von Symbol und Sache" bzw. die Gleichsetzung von Körper und Erde bzw. Kosmos. Diese "erschreckende" Gleichsetzung sieht Erdheim beispielsweise in einer Version des aztekischen Welterschaffungsmythos realisiert, demzufolge Quetzalcoatl und Tezcatlipoca (als Verkörperungen des "bösen" Prinzips) die Erdgöttin vom Himmel herunterholten, sie auseinander rissen und aus einer Hälfte die Erde, aus der anderen den Himmel machten. Die anderen Götter (als Verkörperungen des "guten" Prinzips) wollten diese schreckliche Tat wiedergutmachen und deshalb verwandelten sie die Reste der Erdgöttin in Lebensmittel. Die Gleichsetzung von Leib und Erde betrachtet Erdheim als das "Erschreckende" schlechthin, denn: "Der Wille, den Leib zu beherrschen, übertrug sich auf die ganze Natur, und die Zwangssysteme, die den menschlichen Leib wie einen Stacheldraht umgaben, fanden ihre Entsprechung im religiösen Ritual" (Vgl. Mario Erdheim, Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit, Seite 245). Problematisch in diesem Zusammenhang scheint auch die Behauptung der Nicht-Unterscheidung von Symbol und Sache, eine Interpretation, die auch Ernst Cassirer vertritt. Dem mythischen Denken, so Cassirer, mangelt es an einer klaren Unterscheidung von Vorgestelltem und Wirklichen, von Traum und Wirklichkeit, von Bild und Sache. Weil das Bild eine Sache nicht einfach darstellt, sondern weil es die Sache selbst ist, fehlt dem mythischen Denken die "Kategorie des >Ideellen<" (Vgl. Ernst Cassirer, Die Philosophie der symbolischen Formen II, Seite 48, 51f.). Wenn dem wirklich so wäre, müsste man sich berechtigter Weise die Frage stellen, wie denn so genannte primitive Völker überleben hätten können. Wenn man zwischen vorgestellten und wirklichen Dingen nicht klar unterscheiden kann, so hätten, wie Duerr richtig bemerkt, beispielsweise Träume, in denen die Gemeinschaft über genügend Nahrung verfügte, dazu geführt, dass man sich nicht mehr auf die Jagd begab; ebenso könnte ein Jäger sich selber und das zu jagende Objekt nicht unterscheiden( Vgl. Hans Peter Duerr, Der erotische Leib, Seite 23f.).

23. Vgl. Lévi-Strauss, Die Luchsgeschichte, Seite 249.

24. Ebda., Seite 252-253.

25. Ebda., Seite 245. Überdies, so Lévi-Strauss, weisen viele Maya Götter und andere aztekische Gottheiten "innere Reduplikationen" (z.B. Zwei-Herr usw.) auf und in der Mythologie der Mixteken existieren zwei göttliche Brüder, von denen einer in der Lage ist, sich in einen Adler, der andere sich in eine Schlange zu verwandeln. Sie verwandeln sich also in die beiden Arten von Wesen, die der Name Quetzalcoatl zu einem vermengt. In diesem Sinne stellt der Gott Quetzalcoatl "einen in die Divergenz eintretenden Zwilling" dar.

26. Die mythologische Tricksterfigur ist auf dem gesamten nordamerikanischen Kontinent verbreitet, sei es nun in Gestalt des Coyoten, des Hasen (Algonkin) oder der Spinne ( Iktomi ) bei den Lakota Sioux oder in Gestalt Wakdjungkagas bei den Winnebago Sioux. Der Trickster vereint in einer Figur das duale Prinzip des Guten und des Bösen bzw. des Betrügers und des Betrogenen. Zur vollständigsten Sammlung von Trickstermythologien siehe: Paul Radin, The Trickster A Study in American Indian Mythology.

27. Im Allgemeinen kennen die Sioux genau 405 gute Geister und Mächte, die Stone White Men genannt werden und die nach dem Willen Wakan Tankas in der Schöpfung wirken. Nur Medizinmänner und heilige Männer können sich ihrer zum Wohl der Menschen bedienen (Vgl. Th. Mail, das Leben des Fools Crow, Seite 75f). Demgegenüber gibt es viele unzählige böse Geister und Mächte, wie einige Oglala Schamanen gegenüber dem Reservationsarzt Walker erklärten: "The Bad Gods are Iyo or Ibom , and Gnaskinyan [Crazy Buffalo] and Anog Ite [Double Face] and Untehi [Water Monsters] and Mini Watu [Water Spirits] and Can Oti [Tree Dwellers] and Ungla [Gobbins] and Gica [Dwarfs] and Nagila Sica [Evil Nonhuman Spirit]. Iyo is the chief of the Evil Gods and he is the evil Wakan Tanka . When he is like a giant he is Iyo , and when he is like a cyclone he is Ibom ..." (Vgl. James R. Walker, Lakota Belief and Ritual, Seite 94.).

28. Vgl. James R. Walker, Lakota Myth, Seite 218. Zudem sind beide ungleiche Zwillinge auch in der Art, als sie Ausgeburten desselben göttlichen Vaters ( Inyan ), aber nicht derselben Mutter sind.

29. Vgl. Jean Baudrillard, Der unmögliche Tausch, Seite 138. Es muss aber hinzugefügt werden, dass der Dualismus des indianischen Denkens und der daraus erwachsende Pluralismus im Grunde ein Monismus sind: "Um zu der Zauberformel zu kommen, die wir alle suchen: Pluralismus = Monismus ..." (Vgl. Deleuze, Guattari, Tausend Plateaus, Seite 35.). Für das nordamerikanisch-indianische Denken ist es ein und derselbe Kreislauf, der alles verbindet bzw. alles in ein Verwandtschaftsverhältnis stellt. In diesem Sinne legt gerade das Kreisdenken und das Verwandtschaftsdenken der nordamerikanisch-indianischen Traditionen (vergleiche Abschnitt 2.3.2. dieses Kapitels) Zeugnis ab für die Gleichung Pluralismus = Monismus .

30. Ebda., Seite 139.

31. Ebda., Seite 53.

32. Ebda., Seite 65.

33. Vgl. Lévi-Strauss, Strukturale Anthropologie I, Seite 148-183.

34. Vgl. Werner Müller, Die Religion der Waldlandindianer Nordamerikas, Seite 143-166.

35. Vgl. Lame Deer, Seeker of Visions, Seite 258. Lame Deer meint: "Well, the heyokas dance around that steaming kettle, sing and act contrary. If the dreamer says, >A good day tomorrow<, well, it will be a hell of a day next day. And if he says, >Tomorrow will be a bad day, thunderstorms from morning to night<, you can leave your umbrella at home. You won`t need it, because it will be beautiful. And if the heyoka sees a sick person and says, >He's going to die<, that sick person will be all smiles because he knows he's going to live. But if the heyoka says, >You are going to get well<, the poor thing, he might as well start writing his will".

36. Ebda., Seite 260.

37. Vgl. Raymond J. DeMallie (Hrsg), The Sixth Grandfather, Seite 232.

38. Dazu Lame Deer: "For us Indians everything has a deeper meaning; whatever we do is somehow connected with our religion. [...] To us a clown is somebody sacred, funny, powerful, ridiculous, holy, visionary. He is all this and then some more. Fooling around, a clown is really performing a spiritual ceremony. He has a power. It comes from the thunder-beings, not the animals or the earth. In our Indian belief a clown has more power than the atom bomb. This power could blow of the Capitol" (Vgl. Lame Deer, Seeker of Visions, Seite 249.).

39. Vgl. Lame Deer, Seeker of Visions, Seite 253-254.

40. Wenn nichts anderes angegeben, sind die folgenden Ausführungen zu den Clowns entnommen aus: Barbara and Dennis Tedlock, Teachings from the American Earth, Seite 105-117.

41. Der hegelianischen List der Weltvernunft ähnlich, herrscht unter den Schamanen und Medizinmännern der Sioux Einverständnis darüber, dass sie nur Behälter jener Kraft sind, die von Wakan Tanka stammt. Daher bedient sich Wakan Tanka nur dieser auserwählten Personen, um seine Kraft unter die Menschen zu bringen - und er kann sie ihnen auch wieder nehmen. Es ist also nicht der Schamane selbst, der heilt, sondern es ist immer Wakan Tanka (Vgl. Thomas Mails, Das Leben des Fools Crow, Seite 75.).

42. Vgl. Hans Peter Duerr, Frühstück im Grünen, Seite 33-34.

43. Vgl. David Peat, Lighting the Seventh Fire, Seite 83.

44. Zitiert nach: Peter Sloterdjik, Kritik der zynischen Vernunft I, Seite 203.

45. Vgl. Doigenes Laertios, Leben und Lehre der Philosophen, Seite 281 bzw. 265.

46. Vgl. Peter Sloterdjik, Kritik der zynischen Vernunft I, Seite 312.

47. Ebda., Seite 207.

47. Ebda., Seite 204.

48. Vgl. Diogenes Laertios, Leben und Lehre der Philosophen, Seite 276. Ebenso berichtet Laertios: "Während eines Essens warf man ihm wie einem Hund Knochen zu, und er, als er wegging, bepißte sie wie ein Hund" (ebda., Seite 270).

49. Vgl. Peter Sloterdjik, Kritik der zynischen Vernunft I, Seite 307.

50. Vgl. Lame Deer, Seeker of Visions, Seite 117. In diesem Sinne hatten, wie Lame Deer zu verstehen gibt, Führer oder heilige Männer wie Sitting Bull oder auch Black Elk so genannte winkte -Namen (ebda., Seite 154.). Zum Umgang mit Lesben vergleiche auch: Paula Gunn Allen, The Sacred Hoop, Seite 245-262.

51. Zitiert nach: Jack D. Forbes, Die Wétiko Seuche, Seite 49.

52. Vgl. Vine Deloria, Gott ist rot, Seite 84. Ebenda zitert Deloria die Worte des Sioux Shooter: "Wakan Tanka lehrt die Tiere und die Pflanzen, was sie tun sollen. Wakan Tanka lehrt die Vögel, Nester zu bauen, doch die Nester der Vögel sind nicht gleich. [...] Der Wald ist die Heimat vieler Vögel und Tiere, das Wasser ist die Heimat der Fische und Reptilien. Kein Vogel, auch innerhalb seiner Art, ist wie der andere, und so ist es auch mit den anderen Tieren und den Menschen. Der Grund, daß Wakan Tanka nicht zwei Vögel, Tiere oder Menschen gleich macht, ist, daß jeder ein freies und einmaliges Wesen sein soll".

53. Vgl. Vine Deloria, in: Das Indigene America und die Marxistische Tradition, Seite 207. Die vollständigen Worte Sitting Bulls gegenüber der kanadischen Regierung sind folgende: "Wenn der Große Geist gewollt hätte, daß ich ein Weißer bin, hätte er mich als Weißen erschaffen. Er hat es so gemacht, daß in euren Herzen andere Wünsche und Pläne sind als in meinem. Vor ihm ist jeder Mensch gut, so wie er ist. Adler sollen keine Krähen sein" (Vgl. Vine Deloria, Gott ist rot, Seite 140.).

54. Vgl. Hartmut und Gernot Böhme, Das Andere der Vernunft, Seite 128.

55. Ebda., Seite 127.

56. Vgl. Jean Baudrillard, Der unmögliche Tausch, Seite 76.